Donnerstag, 22. Dezember 2016

Medea – Heldin oder Mörderin?



Euripides Protagonistin Medea verkörpert in der gleichnamigen Tragödie die ambivalente Figur einer verlassenen und rachelustigen Frau. Im Laufe der Handlung begeht sie insgesamt fünf Morde, wird daraufhin von der Gesellschaft abgelehnt und aus dem Land vertrieben. Neben den Morden spielen für eine Wertung ihrer Person aber auch Dinge wie die Frauenrolle im alten Griechenland und der Umgang mit Fremden eine große Rolle. Aufgrund der Gegensätzlichkeit kann Medea sowohl als Heldin als auch als Mörderin gesehen werden. Beide Bezeichnungen widersprechen sich grundsätzlich, doch in Anbetracht ihrer Taten können trotzdem beide auf sie zutreffen. Aber was ist eigentlich ein Mörder? Ein Mörder oder eine Mörderin ist eine Person, die einen Mord beging, also einem anderen Menschen das Leben genommen hat und deshalb von der Gesellschaft verstoßen wird. Ein Held dagegen ist eine Person, die eine besondere, nicht alltägliche Leistung vollbracht hat, eine Heldentat. Beides vereint Medea in ihrer Persönlichkeit. Mörderin an den Kindern, Heldin beim Raub des Goldenen Vlieses.

Ein erster Fakt, der den Leser Medea als böse und rachsüchtig sehen lässt, sind die begangenen Morde. Besonders der Mord an ihrem Bruder und ihren Kindern sind besonders brutal, aber auch die Ermordung von König Kreon und seiner Tochter, Jasons neuer Frau, erscheinen maßlos. Jedoch ist zu beachten, unter welchen Umständen Medea die Morde beging und in welcher Lage sie  sich dabei befand. Der Mord an ihrem Bruder fand mit dem Hintergrund vom Raub des Goldenen Vlieses statt, den sie gemeinsam mit Jason beging. Sie raubte das Vlies aus dem Besitz ihres Vaters und verriet damit ihre Familie und ihre Heimat. Ihren Bruder, der sie auf ihrer Flucht verfolgte, tötete sie, um Jason, den sie leidenschaftlich liebte, zu retten und eine gemeinsame Zukunft mit ihm zu haben. Also kann man sagen, dass der erste Mord nicht aus Egoismus, sondern aus Liebe zu Jason begangen wurde, aber sicher auch um ihr eigenes Leben und das Jasons zu retten.
In der Folge lebte Medea gemeinsam mit Jason in einem Land, in dem Frauen keine große Rolle zugesprochen wurde. Sie überragte ihre Umgebung durch Intellekt, Schönheit, rhetorische Kraft und ihre magischen Fähigkeiten. Vor allem deshalb stellte sie die Ordnung und die Rollen der Geschlechter in dieser Zeit fundamental in Frage. Außerdem beging sie den Bruch mit ihrer Familie und gründete so aus eigener Kraft eine „neue“ Familie mit Jason, was zu dieser Zeit nicht üblich war. Das und ihre fremde Herkunft verursacht Ablehnung. Der folgende Bruch Jasons mit Medea verschlimmert ihre Situation und ihr Ansehen, da eine geschiedene Frau in der damaligen Kultur einen sehr schweren Stand hatte. Die Heirat Jasons mit der Tochter Kreons veranlasst Medea schließlich zu ihren Rachegelüsten. Über die erfahrene Ablehnung und Demütigung, die Jason und Kreon ihr gegenüber ausdrückten, fühlte sie Schmerz, Einsamkeit und Verrat. Außerdem bestreitet Jason permanent, nur aus Liebe und für sich selbst erneut geheiratet zu haben, sondern nur für die Zukunft der Kinder und auch Medeas gehandelt zu haben.
Aus Rache für ihren erfahrenen Schmerz will sie Jason nehmen, was er liebt und tötet die Königstochter. Auch die Kinder sind in diese Tat verwickelt, sie überbringen die tödlichen Gaben. Kreon, der noch versucht, seine Tochter zu retten, wird dadurch mit in den Tod gerissen. Medea und ihre Kinder trifft dadurch doppelte Schuld und sie begeht den Mord an ihren Kindern schließlich, um sie vor den Strafen der Bevölkerung für den Mord zu schützen. Sie fällt diese Entscheidung keinesfalls leichtfertig und nach einem Zögern kommt sie fast von ihrem Entschluss ab. Nach dem Mord begründet sie diesen jedoch ebenfalls mit der Rache an Jason.
Abschließend kann man sagen, dass Medea sowohl dem Bild einer Heldin als auch einer Mörderin gerecht wird, auch wenn die Morde überwiegen. Ihre Person kann deshalb als Heroine bezeichnet werden, die diese gegensätzlichen Dinge in sich vereint. Heroen zeichnen sich allgemein durch eine Doppelnatur aus, sie konnten außergewöhnliche Taten vollbringen, die aber sehr verschieden und auch moralisch fragwürdig sein konnten. Ein solcher Begriff trifft am ehesten auf den Charakter der Medea zu, die einen starken Charakter und ihre Schönheit mit den mörderischen Taten vereint, die sie im Laufe der Handlung begeht. Deshalb kann Medea nicht eindeutig als Heldin oder Mörderin interpretiert werden, sondern als eine Figur aus beiden Extremen, als eine Heroine. Nicht zuletzt aufgrund ihrer Ambivalenz ist Medea bis heute eine gern zitierte Person und ihre Geschichte ein viel behandelter Mythos.