Euripides Protagonistin Medea verkörpert in der gleichnamigen Tragödie die ambivalente Figur einer verlassenen und rachelustigen Frau. Im Laufe der Handlung begeht sie insgesamt fünf Morde, wird daraufhin von der Gesellschaft abgelehnt und aus dem Land vertrieben. Neben den Morden spielen für eine Wertung ihrer Person aber auch Dinge wie die Frauenrolle im alten Griechenland und der Umgang mit Fremden eine große Rolle. Aufgrund der Gegensätzlichkeit kann Medea sowohl als Heldin als auch als Mörderin gesehen werden. Beide Bezeichnungen widersprechen sich grundsätzlich, doch in Anbetracht ihrer Taten können trotzdem beide auf sie zutreffen. Aber was ist eigentlich ein Mörder? Ein Mörder oder eine Mörderin ist eine Person, die einen Mord beging, also einem anderen Menschen das Leben genommen hat und deshalb von der Gesellschaft verstoßen wird. Ein Held dagegen ist eine Person, die eine besondere, nicht alltägliche Leistung vollbracht hat, eine Heldentat. Beides vereint Medea in ihrer Persönlichkeit. Mörderin an den Kindern, Heldin beim Raub des Goldenen Vlieses.
Ein erster Fakt, der den Leser Medea als böse und
rachsüchtig sehen lässt, sind die begangenen Morde. Besonders der Mord an ihrem
Bruder und ihren Kindern sind besonders brutal, aber auch die Ermordung von
König Kreon und seiner Tochter, Jasons neuer Frau, erscheinen maßlos. Jedoch
ist zu beachten, unter welchen Umständen Medea die Morde beging und in welcher
Lage sie sich dabei befand. Der Mord an
ihrem Bruder fand mit dem Hintergrund vom Raub des Goldenen Vlieses statt, den
sie gemeinsam mit Jason beging. Sie raubte das Vlies aus dem Besitz ihres
Vaters und verriet damit ihre Familie und ihre Heimat. Ihren Bruder, der sie
auf ihrer Flucht verfolgte, tötete sie, um Jason, den sie leidenschaftlich
liebte, zu retten und eine gemeinsame Zukunft mit ihm zu haben. Also kann man
sagen, dass der erste Mord nicht aus Egoismus, sondern aus Liebe zu Jason
begangen wurde, aber sicher auch um ihr eigenes Leben und das Jasons zu retten.
In der Folge lebte Medea gemeinsam mit Jason in
einem Land, in dem Frauen keine große Rolle zugesprochen wurde. Sie überragte
ihre Umgebung durch Intellekt, Schönheit, rhetorische Kraft und ihre magischen
Fähigkeiten. Vor allem deshalb stellte sie die Ordnung und die Rollen der Geschlechter
in dieser Zeit fundamental in Frage. Außerdem beging sie den Bruch mit ihrer
Familie und gründete so aus eigener Kraft eine „neue“ Familie mit Jason, was zu
dieser Zeit nicht üblich war. Das und ihre fremde Herkunft verursacht
Ablehnung. Der folgende Bruch Jasons mit Medea verschlimmert ihre Situation und
ihr Ansehen, da eine geschiedene Frau in der damaligen Kultur einen sehr
schweren Stand hatte. Die Heirat Jasons mit der Tochter Kreons veranlasst Medea
schließlich zu ihren Rachegelüsten. Über die erfahrene Ablehnung und
Demütigung, die Jason und Kreon ihr gegenüber ausdrückten, fühlte sie Schmerz,
Einsamkeit und Verrat. Außerdem bestreitet Jason permanent, nur aus Liebe und
für sich selbst erneut geheiratet zu haben, sondern nur für die Zukunft der
Kinder und auch Medeas gehandelt zu haben.
Aus Rache für ihren erfahrenen Schmerz will sie
Jason nehmen, was er liebt und tötet die Königstochter. Auch die Kinder sind in
diese Tat verwickelt, sie überbringen die tödlichen Gaben. Kreon, der noch
versucht, seine Tochter zu retten, wird dadurch mit in den Tod gerissen. Medea
und ihre Kinder trifft dadurch doppelte Schuld und sie begeht den Mord an ihren
Kindern schließlich, um sie vor den Strafen der Bevölkerung für den Mord zu
schützen. Sie fällt diese Entscheidung keinesfalls leichtfertig und nach einem
Zögern kommt sie fast von ihrem Entschluss ab. Nach dem Mord begründet sie diesen
jedoch ebenfalls mit der Rache an Jason.
Abschließend kann man sagen, dass Medea sowohl dem
Bild einer Heldin als auch einer Mörderin gerecht wird, auch wenn die Morde
überwiegen. Ihre Person kann deshalb als Heroine bezeichnet werden, die diese
gegensätzlichen Dinge in sich vereint. Heroen zeichnen sich allgemein durch
eine Doppelnatur aus, sie konnten außergewöhnliche Taten vollbringen, die aber
sehr verschieden und auch moralisch fragwürdig sein konnten. Ein solcher
Begriff trifft am ehesten auf den Charakter der Medea zu, die einen starken
Charakter und ihre Schönheit mit den mörderischen Taten vereint, die sie im
Laufe der Handlung begeht. Deshalb kann Medea nicht eindeutig als Heldin oder
Mörderin interpretiert werden, sondern als eine Figur aus beiden Extremen, als
eine Heroine. Nicht zuletzt aufgrund ihrer Ambivalenz ist Medea bis heute eine
gern zitierte Person und ihre Geschichte ein viel behandelter Mythos.